Aus Klärschlamm wird Phosphor

Unter welchen technischen und wirtschaftlichen Bedingungen kann man den Phosphor im
Klärschlamm für die Düngerproduktion und damit für Gartenbau und Landwirtschaft
zurückgewinnen? Ein Forschungsprojekt im RWE Innovationszentrum Niederaußem soll diese
Fragen bald klären: Dort geht in wenigen Wochen die 6,7 Millionen Euro teure sogenannte
Multi-Fuel-Conversion-Anlage (MFC) in Betrieb. „Zurzeit machen die Teams die
Komponenten einsatzbereit. Bald werden sie zusammengeschaltet, beginnen die ersten
Versuche“, kündigt Tilman Bechthold an, Leiter der Forschung und Entwicklung (F & E) von
RWE Power. Der Ingenieur hat den langjährigen F&E-Leiter Prof. Dr. Reinhold Elsen im
Oktober abgelöst. Zuvor war der 58-Jährige Chef des RWE-Kraftwerksstandorts
Frimmersdorf/Neurath.

Phosphor ist zu wertvoll für die Deponie
Bechthold: „Phosphor ist für die Herstellung von Dünger und somit für die Landwirtschaft und
Gartenbau unersetzlich. Die Vorkommen des lebenswichtigen Rohstoffs sind aber begrenzt.
Gleichzeitig fallen im Klärschlamm große Mengen davon an. Bislang werden sie nicht
genutzt, sondern landen letztlich auf der Deponie.“ Ab 2029 soll damit Schluss sein, wird das
Phosphor-Recycling in Deutschland Pflicht. RWE ist schon heute in der thermischen
Verwertung von Klärschlamm engagiert. „Die MFC-Technologie ist ein vielversprechender
Weg, nicht nur Klärschlamm zu entsorgen, sondern gleichzeitig wertvolle Bestandteile
zurückzugewinnen“, berichtet Tilman Bechthold.

In der Anlage sollen Gemische von Klärschlamm, Klärschlamm-Asche und Braunkohle
Temperaturen um 1.500 Grad und starkem Sauerstoffmangel ausgesetzt werden. So entsteht
gasförmiger Phosphor, der – möglichst rein abgeschieden – zu Phosphorsäure verarbeitet
werden kann.

Multi Fuel Conversion – Chance für die Kreislaufwirtschaft
Gleichzeitig entsteht im Konverter des MFC-Verfahrens Synthesegas, eine Mischung aus
Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Es kann als Rohstoff für die Produktion von Methanol,
Methan, Kunststoffen, Treibstoffen und weiteren Einsatzstoffen für die chemische Industrie
eingesetzt werden. „MFC kann einen wichtigen Beitrag für eine zukünftige Kreislaufwirtschaft
leisten – nicht nur in Bezug auf Phosphor, sondern auch auf Wasserstoff und Kohlenstoff",
unterstreicht Bechthold, selbst Ingenieur der Verfahrenstechnik.



Die MFC-Anlage ist Teil des virtuellen „Innovations- und Technologiezentrums Carbon
Conversion“ (ITZ-CC), einem Kooperationsprojekt von RWE, Fraunhofer UMSICHT und der
Ruhr-Universität Bochum. Das ITZ-CC wird durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation,
Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.

Synthetisches Flugbenzin
Ein anderes, nicht minder wichtiges Forschungsvorhaben steht auf der Startrampe:
RWE Power möchte mit BP Europe, dem Forschungszentrum Jülich und ihrer
Konzernschwester RWE Renewables untersuchen, unter welchen Bedingungen eine
Demonstrationsanlage zur Herstellung regenerativer synthetischer Flugzeugtreibstoffe in
NRW sinnvoll ist. „Umweltfreundliches Flugbenzin wäre ein wichtiger Beitrag zum
Klimaschutz. Und es wäre toll, wenn das Rezept für diesen Treibstoff hier in Niederaußem
mitentwickelt würde“, sagt Bechthold.

Batterien wären zu schwer für Flugzeuge
Als Rohstoffe dienen Klärschlamm und Wasserstoff, der mit Wind- oder Solarstrom erzeugt
wird. Der erzeugte Treibstoff hat eine hohe Energiedichte, was besonders für Flugzeuge
notwendig ist: Dort kommt es auf jedes Kilo Gewicht an. Mit nachhaltig erzeugten
Treibstoffen könnten Abgase von Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen klimaneutral werden.
Diese Verkehrsmittel sind nicht direkt elektrifizierbar, weil sie sehr viel Energie benötigen und
Batterien viel zu groß und schwer sind. Bechthold ist sich sicher: „Diese Treibstoffe werden
einen wichtigen Beitrag zu dem gesellschaftlich gewollten Wandel der Energie- und
Rohstoffversorgung leisten.“

Power aus grünem Strom und wiederverwertetem CO2
Die neuartigen Treibstoffe werden als E-Fuels bezeichnet. Der Name kürzt den englischen
Begriff „electrofuels“ ab, auf Deutsch: Elektro-Kraftstoffe. Diese synthetischen Kraftstoffe
werden mit regenerativ erzeugtem Strom aus Wasser und Kohlendioxid (CO2) aus der Luft,
aus Biomasse oder aus Industrieabgasen hergestellt. Motoren arbeiten mit E-Fuels
klimaneutral.

Tilman Bechthold: „F & E ist super spannend“
Tilman Bechtholds Team hat rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Forschenden
arbeiten im RWE Innovationszentrum am Kraftwerk Niederaußem und in Essen. Bechthold:
„Als Kraftwerksleiter habe ich zur Versorgung unserer Gesellschaft mit dem lebenswichtigen
Strom beigetragen- eine wichtige Aufgabe. Jetzt helfe ich mit, nachhaltige Lösungen für
drängende Fragestellungen unserer Gegenwart zu finden. Das ist Forschung und
Entwicklung für heute und alles andere als Zukunftsmusik – und super spannend ist es auch.“